In dem bekannten Disney-Film „Das Dschungelbuch“ geht es um den kleinen
Jungen Mogli, der als Baby in der Wildnis ausgesetzt, von einer Wolfsfamilie
aufgenommen und von dieser in den folgenden zehn Jahren aufgezogen
wird.
Zunächst erscheint ein solches Szenario rein fiktiv, doch einzelne Fälle
belegen, dass es auch in der realen Welt Findelkinder gibt, die gemeinsam
mit Tieren in der Natur aufgewachsen sind – Marcos Rodriguez Pantoja ist
eines von ihnen, denn er lebte zwölf Jahre lang unter Wölfen.
Als Marcos drei Jahre alt war, starb seine Mutter bei der Geburt eines
Geschwisterkindes. Sein Vater wollte sich nicht allein um ihn kümmern und
überließ ihn einem Ziegenhirten, der ihn in den Bergen der
Sierra Morena
aufzog; nur wenige Jahre später verstarb dieser jedoch plötzlich, sodass der
siebenjährige Marcos völlig allein in den Bergen, allein in der Wildnis,
zurückblieb.
Schließlich begegnete der kleine Junge einigen Wölfen, die seine
Hilflosigkeit erkannten, ihn mit in ihre Höhle nahmen, ihn fütterten und ihm
schließlich beibrachten, sich mit ihnen zu verständigen und in der Wildnis
zu überleben – während der folgenden zwölf Jahre streifte Marcos als festes
Mitglied dieses Wolfsrudels durch die Wildnis der Sierra Morena.
Mit 19 Jahren wurde Marcos jedoch zufällig von Soldaten entdeckt, die ihn
mit in die Zivilisation nahmen.
Die Wiedereingliederung in die Menschenwelt
fiel dem jungen Mann jedoch schwer: Er nahm die Menschen als kalt wahr und
fand unter ihnen einfach nicht zu sich selbst. Auch in seinem jahrelangen
Berufsleben hatte er kein Glück, denn sowohl im Hotelgewerbe als auch in der
Baubranche machte er immer wieder schlechte Erfahrungen.
Der heute 72-Jährige fühlte sich von Anfang an unter den Menschen nicht
wohl; er ist bis heute sogar davon überzeugt, unter den Wölfen die
glücklichste Zeit seines Lebens verbracht zu haben.
Voller Verzweiflung versuchte er einst sogar, zu seiner Wolfsfamilie
zurückzukehren, doch ohne Erfolg: „Sie sind da, sie heulen, das macht mir
Gänsehaut, aber es ist nicht leicht, sie zu finden. Wenn ich sie rufe,
antworten sie mir auch, aber sie kommen nicht mehr zu mir, denn ich rieche
jetzt wie ein Mensch.“ Marcos musste schließlich akzeptieren, dass seine
Wolfsfamilie ihn nicht mehr als einen von ihnen erkennen wird.
Heute bewohnt Marcos in einem abgelegenen Dorf ein bescheidenes Haus. Im
Laufe der Jahre hat er sich in dem kleinen Örtchen sogar so gut eingelebt,
dass er sich unter den wenigen Bewohnern heimisch fühlt.
Marcos kann zwar nie wieder ein Teil seines Wolfsrudels werden, doch in
seiner Erinnerung durchlebt er noch immer all die gemeinsamen aufregenden
Abenteuer in den Bergen der Sierra Morena.
Da seine Lebensgeschichte weltweit für Aufsehen sorgt und stets Bestandteil
zahlreicher Forschungen, Dokumentationen und sogar Verfilmungen ist, hat
Marcos vor einiger Zeit herausgefunden, wen er mit seinen Geschichten
besonders beeindrucken kann: nämlich Kinder.
Seitdem reist der alte Mann von Schule zu Schule und bringt unzählige
Sprösslinge mit seinen Erzählungen über sein Leben mit der Wolfsfamilie zum
Staunen.
Marcos Herz schlägt nun nicht mehr nur für die Wildnis, sondern auch für
staunende Kinderaugen, die in ihm immer den spanischen Mogli sehen
werden.